© Jean-Louis Fernandez

Wajdi Mouawad

geboren 1968 in Deir-el-Kamar (Libanon), lebt in Paris. Der Theatermacher und Schauspieler musste sein Heimatland 1978 verlassen, wuchs in Frankreich auf und emigrierte 1983 nach Kanada, weil Frankreich seinen Eltern das Bleiberecht verweigerte. Er gründete seine erste Theatergruppe Théâtre Ô Parleur, wurde 2000 künstlerischer Leiter des Théâtre de Quat’sous und rief die erste französisch-kanadische Theatergruppe Abé Carré Cé Carré/Au Carré de l’Hypothénuse ins Leben, mit der er seine eigenen Stücke entwickelte und inszenierte. Mouawad wies bereits ein umfangreiches dramatisches Werk auf, als 2006 zum ersten Mal ein Stück auf Deutsch zu sehen war: VERBRENNUNGEN, ein Drama über die Suche nach Wahrheit und die Verstrickung in eine von... Bürgerkrieg und sinnloser Gewalt geprägte Vergangenheit, hat innerhalb von zwei Jahren in 23 Inszenierungen die Großen Bühnen im deutschsprachigen Theater erobert. Von 2007 bis 2012 war Mouawad künstlerischer Leiter des Französischen Theaters Ottawa. 2009 war er als "Artiste Invité" für das Festival d'Avignon tätig, seit 2011 in selber Funktion für das GrandT-Nantes. Seit 2016 Direktor des Théâtre national de la Colline in Paris. 2017 war Wajdi Mouawad als literarischer Redner zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse geladen. Mouawad arbeitet auf beiden Seiten des Atlantiks an zahlreichen Theaterprojekten.

Auszeichnungen (Auswahl):

2020 Europäischer Dramatiker*innen Preis
2019 Grand Prix de Littérature dramatique für VÖGEL
2009 Grand Prix du Théâtre der Académie Francaise
2009 Officier de l'Ordre du Canada
2005 "Molière" für den besten frankophonen Autor (Preis nicht angenommen)
2004 SACD-Preis
2004 Jacqueline-Déry-Mochon Literaturpreis
2002 Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres durch den französischen Kultusminister
2000 Gouverneur Général du Canada Literaturpreis


Werke

Deutsch von Uli Menke
1H (auch größer besetzbar)
UA:L'Arrière Scène/Centre culturel de Beloeil (Kanada), 1993. R: Serge Marois

Alfons ist verschwunden. Eines Abends kommt der Vierzehnjährige nicht von der Schule nach Hause, und seither wird er von allen gesucht: Seine Familie macht sich Sorgen, die Polizei ermittelt, und in der Schule wird herumgefragt. Alfons hingegen läuft eine nächtliche Landstraße entlang und steht vor der größten Erfahrung seines noch jungen Lebens: dem Unsichtbaren. Und auch wenn nichts und niemand ihn auf eine solche Begegnung vorbereitet hat, begleiten ihn zahlreiche - reale wie imaginäre - Gestalten und bevölkern seine Hinterbühne der Träume und der Liebe: Da ist zum Beispiel sein Schulfreund Walther, dem Alfons jeden Morgen von angeblichen nächtlichen Abenteuern berichtet; da ist Judith, vielleicht eine der wenigen Wahrheiten in Alfons' Erzählungen; da ist sein geheimnisvoller Begleiter Peter-Paul-Rainer, ein "sanftes, einsilbiges Kind, das sich nie über irgendetwas wunderte"; oder auch Viktor, der Polizeiinspektor, dessen Ermittlungen zwar nicht voranschreiten, dafür aber an Schönheit gewinnen...
ALFONS ist ein traumhaft-poetischer Monolog über das Erwachsenwerden, angesiedelt im Bereich zwischen Realität und Phantasie.
1H (auch größer besetzbar)
Altersempfehlung: ab 14 Jahren.
Deutsch von Uli Menke
Besetzung ad libitum
UA: Théâtre national de Bordeaux en Aquitaine, 2008, R: Dominique Pitoiset.
DSE: Schaubühne Berlin, 24.10.2008, R: Dominique Pitoiset
Zeus, als Stier getarnt, entführt die schöne Europa am Strand des heutigen Libanon. Europas Brüder werden vom Vater fortgeschickt, um sie zu suchen. Allein der jüngste Bruder bleibt zurück. Doch als der Vater stirbt, zieht Kadmos ebenfalls aus, die Schwester zu finden. Auch er sucht Europa vergebens und gründet schließlich eine Stadt: Theben.
Drei Generationen später ist Theben vom Krieg zerstört. Kadmos’ Urenkel Laios muss fliehen, seine Feinde wollen ihn töten. König Pelops gewährt ihm Exil, doch Laios verliebt sich in dessen Sohn, entführt den Jungen und flieht zurück nach Theben. Es entbrennt ein neuer Krieg, an dessen Ende ein Fluch steht: Kein Kind für Laios. Dennoch wird ihm ein Sohn geboren: Ödipus...
In seinem Stück hat Wajdi Mouawad Teile der großen griechischen Tragödien von Sophokles, Aischylos und Euripides montiert und erzählt so die Geschichte der Stadt Theben: den Niedergang einer Utopie, die Zerstörung einer Zivilisation, die Schuldverstrickungen der Vorfahren.
Besetzung ad libitum
Deutsch von Uli Menke
1D-2H
UA: Théâtre Le Clou, Montréal, 12.10.2006. R: Benoît Vermeulen.
DSE: Staatstheater Mainz, 5.11.2009. R: André Rößler.
Der Gerichtsanthropologe Boon wird beauftragt, zwei Leichen zu identifizieren, die in einem Fluss gefunden wurden. In einem der beiden Toten erkennt er seinen Jugendfreund Murdoch wieder, der 15 Jahre zuvor auf geheimnisvolle Weise verschwunden ist. Offen aber bleibt zunächst das Geheimnis des jungen Mädchens, das mit Murdoch zusammen geborgen wird, und das all die Jahre fest umschlungen mit ihm auf dem Grund des Flusses gelegen ist.
Boon begibt sich auf die Suche: nach der Identität des Mädchens, nach der Vergangenheit seines rebellischen Jugendfreundes - und findet dabei nicht zuletzt auch den Jugendlichen wieder, der er selber einmal gewesen ist: ein Heranwachsender, ebenso durstig nach Sinn, nach Leben und Liebe, wie seine Altersgenossen.
Ein raffiniert gebautes Jugendstück über die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens, über Enttäuschungen und Aufbegehren - aber auch über die Liebe und die Kraft der Phantasie.
1D-2H
Altersempfehlung: ab 14 Jahren.
Deutsch von Uli Menke
Große Besetzung ad libitum
UA: Théâtre de la Colline, Paris, 8.10.2022. R: Wajdi Mouawad.
DSE: Burgtheater Wien, 10.4.2025. R: Stefan Bachmann
In WURZEL AUS SEIN führt uns Wajdi Mouawads großangelegte poetische Theatermathematik auf die Spur der möglichen Leben von Talyani Waqar Malik. Als Kind dem Bürgerkrieg im Libanon entflohen, findet Talyani sich 42 Jahre später an fünf höchst unterschiedlichen Punkten seiner Existenz wieder - je nachdem, wohin Flucht, eigene Entscheidungen und äußere Umstände ihn seither geführt haben: Einmal ist er ein vielgefragter Neurochirurg in Italien geworden, ein andermal ein Pariser Taxifahrer, dann wieder ein Maler in Quebec, Insasse einer texanischen Todeszelle oder aber libanesischer Jeanshändler. Was die fünf Lebenswege eint, ist, dass Talyani jeweils an einem ganz bestimmten Tag von der Vergangenheit eingeholt wird - als sich am 4. August 2020 eine zerstörerische Explosion im Hafen von Beirut ereignet. In der darauffolgenden Woche, die das Stück zeigt, beginnen sich die verschiedenen Biographien immer mehr zu kreuzen, zu überlagern, zu überschneiden. Und so beeinflusst, was beinahe geschehen wäre, zugleich immer auch, was geschieht, beeinflusst das Mögliche das Tatsächliche, das Ungewisse das Gewisse.
Große Besetzung ad libitum
Deutsch von Uli Menke
2D-6H
UA: Au Carré de l'Hypoténuse/Abé Carré Cé Carré/Festival d'Avignon, 18.7.2009. R: Wajdi Mouawad
DSE: Junges Schauspielhaus Hamburg, 20.2.2015. R: Konradin Kunze
Abgeschottet, an einem entlegenen und geheimen Ort, überwacht die Sonderkommission "Sokrates" den Himmel. Die zusammengewürfelte Gruppe internationaler Geheimdienstmitarbeiter soll Botschaften islamistischer Terroristen abfangen und entschlüsseln. Doch als einer von ihnen, Valéry, aus unerklärlichen Gründen Selbstmord begeht, verzögert sich die geplante Ablösung der anderen. Die Untersuchungen richten sich zunehmend nach innen: Warum hat sich Valéry umgebracht? Gibt es einen Zusammenhang mit den Nachforschungen? Auf der Suche nach Antworten müssen die Agenten bald erkennen, dass sie die ganze Zeit der falschen Fährte gefolgt sind, und dass der Terror ihnen näher ist, als sie sich vorstellen konnten. Denn die Spur verweist auf eine Jugend, die an keine europäischen Werte mehr glaubt und die sie selber mit erschaffen haben.

"HIMMEL ist der letzte Teil einer Tetralogie, beginnend mit KÜSTE, VERBRENNUNGEN und WÄLDER. Es ist auch das Gegenstück hierzu. HIMMEL ist ein Stück, das – inhaltlich wie formal – all dem zu widersprechen versucht, wofür KÜSTE, VERBRENNUNGEN und WÄLDER stehen: der Bedeutung von Erinnerung, der Suche nach den eigenen Wurzeln, dem Streben nach dem Unendlichen. HIMMEL erzählt, wie ausgerechnet das, wofür die anderen drei Stücke eintreten, die Welt erschüttern kann." (Wajdi Mouawad)
2D-6H
Deutsch von Uli Menke
3D-4H
UA: Théâtre d’Aujourd’hui, Montréal, 1992, R: Wajdi Mouawad.
DSE: Staatstheater Kassel, 10.4.2015. R: Gustav Rueb
Inmitten fallender Bomben feiert Familie Cromagnon Hochzeit. Sie tun so, als ginge das Leben weiter seinen Gang. Doch der Krieg ist längst in das Innere der Familie vorgedrungen: Die Eltern lieben und hassen einander; der ältere Sohn ist in die Schlacht gezogen, gegen wen auch immer; der Jüngere erwartet sehnlichst die Rückkehr des geliebten Bruders. Und die Tochter? Ist sie verrückt, zurückgeblieben, oder schlicht die Einzige, die sich nicht hat anstecken lassen von der allgegenwärtigen Gewalt? Jedenfalls soll es ihr großer Tag werden, die Hochzeitsvorbereitungen sind in vollem Gange, die Gäste müssen jeden Moment eintrudeln. Doch einer fehlt ebenfalls: der Bräutigam.
Mit seiner bitteren Komödie HOCHZEIT BEI DEN CROMAGNONS legte Wajdi Mouawad den Grundstein für seine späteren Arbeiten. Auch hier schon finden sich die zentralen Themen: Krieg, äußere und innere Emigration, Gewalt, die sich wie ein "Erbe" in Familien einschreibt.
3D-4H
Deutsch von Uli Menke
1H
UA: Théâtre de Sartrouville, 24.2.2003. R: Christian Gangneron.
DSE: Theater Bremen, 3.10.2020. R: Alize Zandwijk
Mitten in einer stürmischen Winternacht erhält Wahab einen Anruf seines Bruders: ihrer beider Mutter liegt im Sterben. Auf dem Weg ins Krankenhaus, im schlimmsten Schneegestöber, kämpft Wahab mit seinen Gedanken und Erinnerungen - an seine Mutter, seine Familie, seine ferne Heimat, den Krieg, den er dort als Kind miterleben musste. Und je näher Wahab dem Krankenhaus kommt, desto mehr nähert er sich auch dem wunden Punkt seiner eigenen Geschichte und der seiner Familie: jenem Zwischenfall, der alles veränderte.
IM HERZEN TICKT EINE BOMBE wurde als szenische Lesung beim Festival Primeurs 2017 in Saarbrücken präsentiert: "Wajdi Mouawad erzählt von einem jungen Mann, dessen Erfahrung sich in vielen Biografien wiederholt. Flucht, Migration, Kriege – sie hinterlassen Spuren im Menschen. Doch das Erwachsenwerden auch. Offener als in diesem literarischen Zwiegespräch ringen Schmerz und Liebe, Wut und Zärtlichkeit selten miteinander." (Festival-Ankündigung)
1H
Altersempfehlung: ab 13 Jahren.
Deutsch von Uli Menke
Besetzung ad libitum
UA: Théâtre Ô Parleur/Festival de théâtre des Amériques, Montréal, 1997. R: Wajdi Mouawad.
DSE: Staatstheater Mainz, 19.2.2011. R: André Rößler
Ausgerechnet in der aufregendsten Liebesnacht, die Wilfried je hatte, erfährt er vom Tod seines Vaters. Der Vater, den er als Lebenden kaum kannte, wird als Toter höchst lebendig und für Wilfried zum Problem. Unmöglich, ihn zu begraben. Die Familie der Mutter verweigert eine Aufnahme in das Familiengrab. Die Überführung der Leiche in die alte, kriegsversehrte Heimat des Vaters gerät zur Odyssee. Aufgrund der verlustreichen Kriege sind die Toten im Land längst in der Überzahl und haben alle Grabstellen belegt. Allmählich wird es höchste Zeit, den Vater loszuwerden. Als es Wilfried nach einem beschwerlichen Weg durchs Land endlich gelingt, ihn im Meer zu versenken, hat er Vieles neu erfahren: den Vater, sich selbst und seine eigene von Exil und Entwurzelung geprägte Geschichte.
Besetzung ad libitum
Deutsch von Uli Menke
3D-2H (auch größer besetzbar)
UA: La Colline, Paris, 7.12.2021. R: Wajdi Mouawad
Auf der Flucht vor dem libanesischen Bürgerkrieg landen eine Mutter und ihre Kinder im Pariser Exil, während der Vater zurückbleibt, um für die Familie weiter Geld zu verdienen. Im kalten Europa jedoch will die Mutter nicht heimisch werden, denn bald schon, so glaubt sie, werden sie in ihr früheres Leben zurückkehren können. Es folgen fünf Jahre des Wartens und der Sorge, in denen sie alle vergeblich auf ein Ende des Krieges hoffen. Tag für Tag wartet die Mutter auf Anrufe aus der Heimat, und in der beengten Pariser Wohnung wird die Nachrichtensprecherin im Fernsehen zu ihrer einzigen Gesprächspartnerin jenseits der Familie. Ihre Kinder hingegen sollen Fuß fassen in der fremden Kultur und sind dadurch gezwungen, zwischen zwei Welten zu leben.
Wajdi Mouawad hat mit MUTTER ein sehr persönliches Stück geschrieben: Es ist das Psychogramm einer Mutter, die am Krieg und im Exil innerlich zerbricht. Und es ist die Geschichte eines Jungen, der zerrissen wird zwischen dem Leiden seiner Mutter und seinem eigenen, und der schließlich, viele Jahre später, ein Theaterstück schreiben wird, um sich mit ihr auszusöhnen.
3D-2H (auch größer besetzbar)
Deutsch von Uli Menke
Besetzung ad libitum
UA: Théâtre de Quat’Sous/ Festival de théâtre des Amériques/ Théâtre
Ô Parleur/ Théâtre Hexagone, Meylan, 14.3.2003. R: Wajdi Mouawad
DSE: Staatstheater Nürnberg, R: Georg Schmiedleitner / Deutsches
Theater Göttingen. R: Regina Wenig, jeweils 13.
Mit "eindrucksvoller Sprachgewalt" (Die Welt) nimmt der 1968 im Libanon geborene frankokanadische Autor Wajdi Mouawad in VERBRENNUNGEN den Leser mit auf eine lange Reise, auf der schonungslos von den Anlässen für Gewalt und Blutvergießen berichtet wird. Mouawad erzählt, wie die Geschwister Jeanne und Simon die Vergangenheit ihrer Mutter Nawal erkunden, die vor dem Krieg im Nahen Osten in den sicheren Westen geflohen war, um sich dort eine neue Existenz aufzubauen. Nawals letzter Wille überträgt den Zwillingen die Aufgabe, zwei Briefe zu übermitteln: einen an ihren tot geglaubten Vater, den anderen an einen unbekannten Bruder. Widerwillig nehmen die beiden die Reise in die Heimat ihrer Mutter auf sich. Die Suche nach den eigenen Wurzeln führt sie in die kollektive Tragödie des Krieges zurück.
Besetzung ad libitum
Verbrennungen
Deutsch von Uli Menke
R: Ulrich Gerhardt
Produktion: HR/DLR 2009
Erstsendung: 07.10.0009
Fünf Theaterstücke aus Frankreich
Zusammen mit Hubert Colas, Christophe Huysman, Jean-Luc Lagarce und Joël Pommerat
Alle in diesem achten Band der Reihe Scène versammelten Autoren sind (oder waren) auch Regisseure. Sie stehen damit, trotz ihrer großen Unterschiede, für ein französisches Regietheater, das die Auseinandersetzung mit Thema und Text, mit Stück und Spiel sucht, indem es die Texte aus sich selbst heraus produziert. Und in einer dieser möglichen Fragestellungen treffen sich die Stücke dieses Bandes, so als käme das Theater, wenn es einmal dem nachhört, was seine Macher umtreibt, zwangsläufig immer wieder darauf zurück: sie handeln vom Krieg. Sie sprechen von Gewalt, da wo die Bilder einer medialen Allgegenwart von Krieg ihre eigene, gewissermaßen schreckfreie Ästhetik produzieren. Sie suchen nach Worten für das, was zumeist sprachlos macht.
Jean-Luc Lagarces LETZTE GEWISSENSBISSE VOR DEM VERGESSEN setzt im Kleinkrieg der Kommunikation an. Natürlich geht es dabei auch um Geld, um Erbe und Familienbande. Die Besitzfrage und soziale Statusproblematik bleiben aber insofern im Hintergrund, als Lagarce im scheinbaren Plauderton den eigentlichen Aggressionsursachen präzise nachspürt.
Wie ein Familientreffen kommt auf den ersten Blick auch Joël Pommerats MIT EINER HAND daher – weil sich die Figuren als Vater, Sohn, Schwestern, als Ehemann oder Freunde bezeichnen lassen. Dann aber schleicht sich eine Fremdheit in die Beziehungen, zwischen die Worte und in das Schweigen, die die Konstellationen neu ordnet.
Als im Herbst 2005 in Frankreich Vorstädte brannten, flammte mit den angezündeten Autos auch eine ängstliche Ahnung in den Nachbarländern auf. Hubert Colas’ DIE VERBRENNUNG hat lange vor dem aktuellen explosiven Gemisch aus politischer Kraftmeierei und urbanem Gewaltpotenzial den Finger in diese längst nicht nur französische Wunde gelegt: Aus den Hochhaussiedlungen des Städtebaus im 20. Jahrhundert haben sich Arbeitslosen- und Immigrantenghettos entwickelt, in denen sich mit steigender Frustration der Bewohner auch die Gewaltbereitschaft und Selbstjustiz eines Bandenrechts ausbreiten.
Christophe Huysmans Blick auf die Welt ist der eines Wanderers und Sammlers: In seinem Stück DIE HERUNTERGESTÜRZTEN MENSCHEN durchmisst ein Läufer Länder und Städte, die von Kriegen aller Art gezeichnet sind. Siebenunddreißig »heruntergestürzten Körpern« begegnet er auf seiner Reise, die ihre eigenen Geschichten erzählen.
Auch Wajdi Mouawad treibt sein Stückpersonal weit über die ihnen vertrauten geografischen Grenzen hinaus mitten ins Kriegsgeschehen hinein. Auf der Suche nach der persönlichen Herkunft der letzte Wille einer jäh verstummten Mutter in VERBRENNUNGEN ein Zwillingspaar auf die kollektive Tragödie des Krieges zurück.

400 Seiten. broschiert. 17€
ISBN: 978-3-88661-279-6

Fünf Theaterstücke über Tod und Teufel
Kleine Kinder, so sagen Psychologen, begreifen noch nicht die Endgültigkeit des Todes. Irgendwann aber fangen sie an, Fragen nach den letzten Dingen zu stellen. Der 23. Band der Anthologie "Spielplatz" versammelt fünf Stücke für Kinder und Jugendliche, die sich mit "Tod und Teufel" beschäftigen:
Mit DAS GESCHENK DES WEISSEN PFERDES hat Rudolf Herfurtner ein poetisches Erzähltheaterstück über den Kreislauf des Lebens, über Abschied und Weiterleben geschrieben: Der Großvater des mongolischen Jungen Tasi ist zu alt und schwach, um seinen Enkel an den Fluss zu begleiten; stattdessen erzählt er ihm eine Geschichte. Einfühlsam und zugleich humorvoll setzt sich 1 X HIMMEL UND ZURÜCK von Bente Jonker mit Verlassenwerden und Tod auseinander: Rosa vermisst nichts mehr als ihren Vater, der vor kurzem gestorben ist. Sie macht sich auf, um ihn im Himmel zu suchen. Mit mehr als 20 Inszenierungen ist Guy Krnetas URSEL so etwas wie ein Kindertheater-Klassiker zum Thema Tod: Der Bruder der kleinen Ursel ist bei einem Unfall gestorben. Mit einem Toten aber kann niemand seine Kräfte messen, und so steht das Mädchen im Schatten des großen Unbekannten, der doch viel kleiner war als sie. Suzanne van Lohuizens DREI ALTE MÄNNER WOLLTEN NICHT STERBEN ist ein vergnügliches kleines Lehrstück für Kinder. Drei alte Männer – Dietrich, Lothar und Oliver – erhalten eines Tages einen Brief, in dem steht, dass sie sterben müssen. Sie sind empört. Sie sind doch noch nicht fertig mit dem Leben. An Jugendliche richtet sich DIE DURSTIGEN von Wajdi Mouawad und Benoît Vermeulen: Zwei Leichen führen den Gerichtsanthropologen Boon auf die Spur einer Vergangenheit, die in seine eigene Jugend zurückführt.

192 Seiten. broschiert. 15€
ISBN: 978-3-88661-330-4

Fünf Theaterstücke über Angst
Von Ängsten ist derzeit viel die Rede: von Angst vor gesellschaftlichen oder privaten Veränderungen. Ängste gehen einher mit Entwicklungen, die unabsehbar und unkontrollierbar erscheinen. Gerade auch für Kinder sind sie daher ein zentrales Thema. Denn Heranwachsende sehen sich im Alltag ständig mit neuen Situationen konfrontiert – mit Dingen, die ihnen noch unbekannt sind, oder mit vermeintlichen Gewissheiten, die sich plötzlich in Nichts auflösen können. Ängste entspringen einem Spiel der Phantasie, das sich ausmalt, »was passieren könnte, wenn«. Umgekehrt begegnen Kinder Ängsten aber ihrerseits auf spielerisch-phantasievolle Weise. Beides zusammengenommen lässt das Theater als geradezu prädestinierten Ort erscheinen, um sich mit Ängsten auseinanderzusetzen. Nicht umsonst wird auch in Angsttherapien mit Spiel-im-Spiel-Situationen gearbeitet. Der neue Spielplatz-Band versammelt fünf Theaterstücke für Kinder und Jugendliche, die sich dem Thema »Angst« widmen. In MÄRCHEN VON EINEM, DER AUSZOG DAS FÜRCHTEN ZU LERNEN hat Charles Copenhaver das berühmte Grimm-Märchen für die Bühne bearbeitet. Ein Machtspiel mit der Angst unter Kindern zeigt Zoran Drvenkar in DU HAST DOCH KEINE ANGST, ODER? Als harmlose Gutenachtgeschichte kommt NACHTGEKNISTER von Mike Kenny daher, ehe sich das Stück für seine Figuren und sein Publikum in eine poetische Geisterbahn verwandelt. An Jugendliche richtet sich Wajdi Mouawads IM HERZEN TICKT EINE BOMBE, der Monolog eines Jungen, der, ausgelöst durch den bevorstehenden Tod der Mutter, nochmals Kindheitsängste durchlebt. Um den ersten Abend zuhause ohne Eltern schließlich geht es in Ingeborg von Zadows »Theaterstück mit Musik« NAOMI UND DIE NACHT.

224 Seiten. broschiert. 15€
ISBN: 978-3-88661-386-1

Fünf Theaterstücke über Wahrheit und Lüge
Mit ungefähr vier Jahren entwickeln Kinder die Fähigkeit, bewusst die Unwahrheit zu sagen. Die Lüge ist Tabubruch und Schritt hin zur Selbstständigkeit in einem. Vielleicht deshalb gilt sie uns mal als lässliche Flunkerei, mal als bewunderte List und wieder ein anderes Mal als unverzeihlicher Betrug. Um Lügen auf die Schliche zu kommen, halten wir uns an Äußerlichkeiten: ausweichende Blicke, scheinbar verräterische Gesichtsausdrücke, Gesten oder Verhaltensweisen. Die Lüge hat insofern ihre eigene Theatralität, und zwischen Menschen, die gut zu lügen, und solchen, die gut zu schauspielern verstehen, besteht angeblich ein Zusammenhang.
In der Kinder- und Jugendliteratur findet sich, von Pinocchio über Münchhausen bis Pippi Langstrumpf, eine Vielzahl an passionierten Schwindlerinnen und Schwindlern. Und dramaturgisch leben die erzählten Geschichten, zumal die auf dem Theater, seit jeher von Intrigen und Betrügereien. Eine Affinität zur Lüge gar unterstellte Platon der Dichtkunst insgesamt.
SPIELPLATZ 37 versammelt fünf aktuelle Theaterstücke für Heranwachsende, die sich dem Phänomen der Lüge in besonderer Weise widmen: Um das wohl berühmteste Täuschungsmanöver der Antike, das 'Trojanische Pferd', geht es in Ulrich Hubs "Troianer". Als notorischer Lügner gilt Wajdi Mouawads Titelheld "Alfons", in dessen unglaubliche Geschichten sich der Text selbst immer tiefer verstrickt. Welche Wahrheiten sind Kindern zumutbar, und vor welchen verschließen wir lieber die Augen? Diesen Fragen geht Jens Raschkes "Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute" nach. Mit Carlo Collodis "Pinocchio" hat Thilo Reffert einen sprichwörtlich gewordenen Lügner für die Bühne adaptiert. Und von einer Wahrheitssuche, die im genauen Gegenteil - in Verschwörungstheorien und Fake News - mündet, erzählt "Alle Beweise der Welt" von Lucie Vérot.

Fünf bühnenwirksame Flunkereien für Kinder und Jugendliche zwischen 6 und 14 Jahren.

Die Originalrechte für "Alfons" von Wajdi Mouawad und "Alle Beweise der Welt" von Lucie Vérot liegen bei:

© Lucie Vérot, "Prouve-le", Les Solitaires Intempestifs, Besançon, 2021
© Wajdi Mouawad, "Alphonse", Lemeac Éditeur, Montréal, 1996

240 Seiten. broschiert. 22€
ISBN: 978-3-88661-423-3

Deutsch von Uli Menke
Mouawad erzählt, wie die Geschwister Jeanne und Simon die Vergangenheit ihrer Mutter Nawal erkunden, die vor dem Krieg im Nahen Osten in den sicheren Westen geflohen war. Nawals letzter Wille überträgt den Zwillingen die Aufgabe, zwei Briefe zu übermitteln: einen an ihren tot geglaubten Vater, den anderen an einen unbekannten Bruder. Widerwillig nehmen die beiden die Reise in die Heimat ihrer Mutter auf sich. Die Suche nach den eigenen Wurzeln führt sie in die kollektive Tragödie des Krieges zurück.

128 Seiten. broschiert. 10€
ISBN: 978-3-88661-299-4

Deutsch von Uli Menke
In einer New Yorker Universitätsbibliothek lernen Eitan und Wahida einander kennen und lieben. Er ist deutscher Jude aus Berlin, studiert Genetik und bezirzt seine Sitznachbarin mit schwindelerregenden Wahrscheinlichkeitsrechnungen über das Leben und die Liebe. Sie ist Amerikanerin arabischer Herkunft und schreibt ihre Doktorarbeit über eine grenzüberschreitende Gestalt aus dem 16. Jahrhundert.
Doch Eitans Vater verweigert der Beziehung seines Sohns mit einer „Araberin“ den Segen. Wahida und Eitan dagegen wollen der Last des familiären und historischen Erbes entfliehen – und werden dennoch davon eingeholt. Denn als er Wahida auf eine Forschungsreise nach Israel begleitet, wird Eitan bei einem Terroranschlag schwer verletzt. Im Krankenhaus besuchen ihn seine Eltern und Großeltern. Und mit ihnen kehren auch die alten Konflikte zurück: Fragen nach religiöser, kultureller, nationaler Zugehörigkeit, die wie ein Schwarm Unglücksvögel über Familie und Gesellschaft kreisen …
"Wajdi Mouawad triumphiert in Paris", schrieb Joseph Hanimann in der Süddeutschen Zeitung über die Uraufführung von VÖGEL (Originaltitel: Tous des oiseaux) im November 2017 am Théâtre national de la Colline.

112 Seiten. broschiert. 14€
ISBN: 978-3-88661-389-2

Deutsch von Uli Menke
Während ihrer Geburtstagsfeier erleidet die schwangere Aimée einen epileptischen Anfall. In ihrem Kopf wird ein Tumor entdeckt, verursacht durch einen rätselhaften Fremdkörper. Die Ärzte stellen sie vor die Wahl: Sie muss zwischen dem Leben des Ungeborenen und ihrem eigenen abwägen. Aimée entscheidet sich für das Kind. – 16 Jahre später: Aimées Tochter Loup begibt sich auf eine Reise in die Vergangenheit. Denn der Fremdkörper, der im Gehirn ihrer toten Mutter gefunden wurde, führt auf die Spur einer weiteren Verstorbenen. Loup gerät in einen Strudel von Ereignissen, der für die 16jährige zur Suche nach den eigenen Wurzeln, der Geschichte ihrer Familie und der eines ganzen Kontinents wird: eine europäische Geschichte von Liebschaften und Verrat, von Krieg und Gewalt, aber auch die Geschichte einer Freundschaft zweier Frauen, die den Tod überdauert.

156 Seiten. broschiert. 12€
ISBN: 978-3-88661-324-3

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