Krawatte, Dienstgrad, Feierabendbier: Es könnte immer so weiter gehen. Doch Erwin, Mittfünfziger, Familienvater, bricht aus. Einst ein Freigeist, stürzt er sich nach Jahrzehnten wieder in ein wildes, ungebundenes Abenteuerleben. Er taucht unter, flieht in die Natur, gilt bald als vermisst. FINDET MICH zeichnet das Psychogramm eines Mannes, dem letztlich eine Psychose diagnostiziert wird und dessen Familie ihn nicht mehr wiedererkennt.
Doris Wirth erzählt diese Geschichte als Langzeitporträt, das wechselnde Perspektiven einnimmt: Erwin und Maria, beide in den 1950ern geboren, sind ihren engen Elternhäusern entflohen. Sie haben zwei Kinder, verdienen gerade genug, um nicht schlecht zu leben, und wohnen im Genossenschaftsquartier einer Kleinstadt im Kanton Zürich. Man fährt in den Urlaub, man isst gemeinsam am Küchentisch, man verpackt die Essensreste in Tupperware. Kurz: Es ist eine vollkommen normale, wenn nicht sogar glückliche Familie. Getrübt wird die Stimmung höchstens von Erwins wiederkehrenden Wutausbrüchen und den Pubertätsleiden der Kinder: Florence kotzt, Lukas kifft.
Als Erwin mit Mitte Fünfzig keine neue Arbeit mehr findet, als sein Vater, dessen Anerkennung lebenslang ausblieb, stirbt, ist Erwins schleichende Veränderung nicht mehr zu übersehen: Seine Stimmung wechselt von Verzweiflung zu Großartigkeit, er hängt Fantasien und Feindbildern nach und macht schließlich seine Drohungen wahr: er taucht unter. Wer ist dieser Mann, den sie so gut zu kennen glaubten? Wo verläuft die Grenze zwischen normal und verrückt und ist die Psychose, die Erwin attestiert wird, ein privates oder letztlich ein gesellschaftliches Symptom?
FINDET MICH von Doris Wirth, erschienen im Geparden Verlag, ist ein packendes Romandebüt, das nach den Auswirkungen der Selbstdefinition über Leistung und Arbeit fragt und Zwänge und Begrenzungen in unserer Gesellschaft aufzeigt.