von Simon Werle
UA: Vereinigte Städtische Bühnen Krefeld und Mönchengladbach, 24.3.2000. R: Bernarda Horres
DER WEICHSELZOPF entzieht sich der herkömmlichen Nacherzählung. Es gibt zwar eine Handlung, sogar eine Kriminalhandlung, die mit einer Liebesgeschichte verbunden ist - und doch vollzieht sich das dramatische Geschehen kaum in einer "realistischen" Aktion. Wie im Märchen entsteht innerhalb der realen Welt eine zweite Wirklichkeit der Phantasie:
Da sind Jale, das Mädchen mit dem Weichselzopf, und Juan, der junge Mann mit dem Herzen so groß wie ein Kuheuter: die beiden Liebenden. Da ist die böse Ziehmutter und Tante in ihrem Fischgeschäft, und der gute Onkel in seinen Rosenbüschen. Die Obrigkeit wacht im Zollhäuschen an der Grenze in Gestalt der beiden Zollbeamten Weyrauch und Braun.
Die beiden Liebenden sind anders als die anderen, sie erfinden sich ihre eigenen Wirklichkeit, ihre eigene Sprache. Juan wohnt in der großen Kastanie am stillgelegten Steinbruch, Jale hält sich Dohlen, sie verloben sich in einem verlassenen Viadukt, erwarten (oder erfinden?) sich ein Kind, das sie wieder verlieren.
Die Kriminalgeschichte geht um Drogen, Juan Knechtblock ist ihr möglicher Kurier, die Zollbeamten haben ihn im Visier, stellen ihm eine Falle. Kober ist der geheimnisvolle Mann im Hintergrund, der niemals auftritt. Die Geschichte bleibt im Dunkeln.
Das alles spielt in Hangard, einer Kleinstadt an der Grenze mit Zollstation und verlassenem Viadukt, unter dem die Rekruten grölen... eine kalte, unfrohe Gegend: "Wenn es dunkel wird, wird Hangar weiß."
DER WEICHSELZOPF ist ein Stück poetisches Theater - und eine Herausforderung an das Theater, an seine Möglichkeiten zu zaubern und zu verzaubern.
2D-4H