© Hanne Kulessa

Walter Boehlich

geboren am 1921 in Breslau, Studium der Germanistik und Romanistik in Breslau und Hamburg, von 1947 bis 1952 Assistent des Romanisten Ernst Robert Curtius in Bonn und bis 1957 DAAD-Lektor in Aarhus und Madrid. Ab 1957 zunächst Lektor, später Cheflektor im Suhrkamp Verlag, von dem er sich 1968 trennt. Mitgründer des Verlags der Autoren 1969. Lebt die folgenden Jahrzehnte als freier Publizist (Kritiker, Herausgeber, Übersetzer) in Frankfurt am Main, ab 2001 bis zu seinem Tod 2006 in Hamburg. Seine Bibliothek wird vom Moses Mendelssohn Zentrum für europäisch-jüdische Studien an der Universität Potsdam als eigene Einheit verwahrt.

Auszeichnungen (Auswahl):

2001 Heinrich-Mann-Preis; Wilhelm-Merton-Preis für Europäische Übersetzungen
1997 Jane-Scatcherd-Übersetzerpreis
1996 Hessischer Kulturpreis; Goetheplakette der Stadt Frankfurt
1990 Johann-Heinrich-Merck-Preis


Werke

Besetzung ad libitum
Szenische Dokumentation der Paulskirche-Debatten. Die fortwährende Aktualität der politischen Auseinandersetzungen von 1848 werden in Boehlichs Stück deutlich: Es eröffnet den Zugang zu den Diskussionen aus den Anfängen der deutschen Demokratie.
Besetzung ad libitum
3D-9H
Abendstern ist der Name eines Stockholmer Cafés. Die Gäste, ausschließlich wohlsituierte Bürger - dafür sorgt die Wirtin, Frau Dahlgren - vertreiben sich beim abendlichen Punsch die Zeit. Da ist der Doktor, der, den ehelichen Unstimmigkeiten ausweichend, seine Abende bei zahlreichen Gläsern Whisky und mit der Lektüre philosophischer Bücher verbringt; da sind der Fabrikant, der Apotheker und der Großhändler, die über ihre kleinen Geschichten in kleine Streitereien geraten; und da ist der alte Hofkämmerer, der ein Auge auf die Serviererin Vivan geworfen hat. Vivan, befreundet mit einem mittellosen Ingenieur, dem sie ab und zu Geld zusteckt und der ihr an diesem Abend als letztes, nicht verpfändetes Eigentum seinen Revolver zeigt, begegnet den Bemühungen des Hofkämmerers, sie mit hohen Trinkgeldern in sein Bett zu locken, mit müder Freundlichkeit. Nur seine Angebot eine Woche zuvor, ihr 50 Kronen zu geben, wenn sie mit ihm nach Hause käme, hat sie empört zurückgewiesen: "Der Herr Hofkämmerer sollte sich schämen." Er hat sich geschämt, versichert er ihr, als er am Abend ins Café kommt, und während der Doktor seinen Whisky trinkt und der Fabrikant wiederholt versucht, seine Geschichte zu Ende zu bringen, ordnet der Hofkämmerer Goldstücke in kleinen Stapeln auf den Tisch. Was das eigentlich war, weswegen er sich habe schämen sollen, fragt er Vivan, die die Goldstücke anstarrt und nichts Rechtes darauf zu antworten weiß und, als er bei 300 Kronen angelangt ist und sie ihr anbietet, einwilligt, mit ihm nach Hause zu gehen. Der Hofkämmerer triumphiert und belehrt Vivan, die hilflos auf seine Begleitung wartet, eines Besseren. "Hör zu, Vivan: Hast du dir wirklich einbilden können, daß du dreihundert Kronen für nichts bekommen solltest - für fast nichts? Nein, kleine Goldvivan! ..."
In der mitternächtlichen Caféhausatmosphäre wird dieses kleine schmutzige Spiel um Macht und Rache, um Verführbarkeit und Käuflichkeit zum hintergründigen Thema.
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UA der Übersetzung: TAT, Frankfurt am Main, 27.9.1967. R: Claus Peymann
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Das Werk ist in folgenden Mundartfassungen erhältlich:

  1. Die Irren von Valencia. Hochdeutsch
  2. Weh dem, der liebt (Die Irren von Valencia).
    Hessisch von Walter Boehlich und Wolfgang Kaus
Besetzung ad libitum
UA: TAT, Frankfurt am Main, 7.3.1973. R: Florian Mercker
Die abenteuerliche Geschichte des Dreimasters "Sophia Magdalena”, der 1796 mit Kurs auf China in See sticht. Das Stück zeigt, wie Reeder und Kapitän skrupellos das Leben der Mannschaft aufs Spiel setzen, um einen hohen Gewinn herauszuschinden. Witz und Exotik mildern die Härte des nach historischen Dokumenten entworfenen Stücks.
Besetzung ad libitum
Altersempfehlung: ab 8 Jahren.
2D-6H
UA: Staatstheater Darmstadt, 9.11.1990. R: Klaus Weise
1970 – ein Hotelzimmer in Amsterdam. Der erfolgreiche jüdische Theaterautor Peter Stone ist zum ersten Mal seit seiner Befreiung aus dem KZ wieder in Europa. Für den Abend ist er mit seinem Onkel zum Abendessen verabredet. Ein tiefer Riss trennt die beiden Männer. Während Stone dem faschistischen Terror ausgeliefert war, lebte sein Onkel in sicherer Entfernung in Übersee. Und er kann nicht verstehen, warum sich Juden "wie Lämmer zur Schlachtbank" führen ließen. Um seinem Onkel dennoch etwas von seinen Erfahrungen mitzuteilen, hat Peter Stone für den Abend eine Inszenierung geplant, an der Leidensgenossen beteiligt sind. Onkel und Tante sollen nacherleben, was Auschwitz bedeutete, und was nicht beschreibbar ist.
2D-6H
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UA der Übersetzung: Deutsches Schauspielhaus Hamburg, 3.5.1980. R: Peter Palitzsch
Die ehemals gefeierte Sängerin Gertrud vereinsamt in der Vernunftehe mit einem Politiker. Leidenschaftslos leben sie, in der bürgerlichen Konvention erstarrt, dahin. Bis sie beschließt, ihren schon länger gefassten Entschluss in die Tat umzusetzen: sie will sich trennen und so ganz und gar zu ihrer tiefen Liebe zu einem jüngeren Dichter bekennen. Vom ihm jedoch naht Verrat: er prahlt in der Öffentlichkeit bereits mit der Eroberung der begehrten Dame. Die Schilderung eines Herrenabends, an dem ihr Liebhaber ihren Namen öffentlich nannte, stürzt sie in eine existentielle Krise. Auch von ihm wird sie sich trennen. Doch zu ihrer Empfindung steht sie - denn Gertrud ist entbrannt.

Unter den fesselnden Frauenfiguren der modernen skandinavischen Literatur, wie es auch Ibsens Nora oder Strindbergs Julie sind, ist Gertrud mit ihrem unermüdlichen und konsequenten Drang nach Selbstbestimmung die heutigste.
Botho Strauß schrieb über Söderbergs Stück:
"Man liest heute deutlicher die bittere Konsequenz, das Ende des Stücks von Anfang an. Das Resultat einer nicht bedingungslos verfolgten Leidenschaft. Das Drama, daß die Liebe kein Drama mehr ist. Sondern nur ein furioser Zwischenfall auf dem sicheren Weg in die Vereinzelung."
3D-3H
Szenische Dokumentation der Paulskirche-Debatten. Die fortwährende Aktualität der politischen Auseinandersetzungen von 1848 werden in Boehlichs Stück deutlich: Es eröffnet den Zugang zu den Diskussionen aus den Anfängen der deutschen Demokratie.

144 Seiten. broschiert. 8€
ISBN: 978-3-88661-120-1

Von Suhrkamp zum Verlag der Autoren
Zusammen mit Karlheinz Braun, Klaus Reichert, Peter Urban und Urs Widmer
Fünf Autoren, die einmal Lektoren im Suhrkamp Verlag waren, schreiben über die Konflikte mit dem Verleger Siegfried Unseld, die sie veranlassten, gemeinsam diesen Verlag zu verlassen und einen neuen zu gründen. Es geht in diesem Buch also noch einmal um den sogenannten "Aufstand der Lektoren" von 1968. Der "Chronik" 1970 des Verlegers, die letztes Jahr erschien, folgt nun die "Chronik der Lektoren". Sie sieht die Ereignisse aus ihrer deutlich anderen Sicht und verweist damit auf die Subjektivität von Unselds Chronik.

Die Lektoren erinnern sich an einen Kampf um Demokratisierung in einem Verlag, dessen Programm 1968 in einem offensichtlichen Widerspruch zum Verleger stand, der – nach Walter Boehlich – Besitzverhältnisse mit persönlichen Leistungen verwechselte. Dass dieser Konflikt sich in einem Verlag entwickelte, der wie kein anderer die "progressive" Literatur vertrat, war bezeichnend für die Schwierigkeiten einer linken Theorie mit der Praxis. Es war ein Konflikt, der "exemplarische Bedeutung für die Struktur des Verlagswesens, die Abhängigkeits- und Mitbestimmungsverhältnisse in geistigen Berufen" (Wolfram Schütte, Frankfurter Rundschau) hatte.

Fünf Lektoren rekapitulieren die Ereignisse. Der spätere Anglistik-Professor und heutige Präsident der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung, Klaus Reichert, schreibt seine eigene "Chronik eines Lektors". Peter Urban, der Übersetzer und Neuentdecker slawischer Literatur, erzählt von einer Verlagsarbeit mit Folgen, an die Urs Widmer, der Schriftsteller wurde, in dem gemeinsamen "Traum vom herrschaftsfreien Arbeiten" erinnert. Karlheinz Braun, langjähriger "Delegierter" der Autoren, interpretiert und kommentiert den "Aufstand". Und vom damaligen Cheflektor Walter Boehlich, der im September 2011 seinen 90. Geburtstag feiern würde, gibt es aus dem Nachlass ein Kapitel mit bislang unveröffentlichten Briefen an Ingeborg Bachmann, Max Frisch, Uwe Johnson, Siegfried Lenz, Siegfried Unseld u.a., die seinen jahrelangen Schwierigkeiten mit dem so ungleichen Verleger und dem Schmerz über das Nichterreichte Ausdruck geben. Und der dann umso engagierter an der Verwirklichung des "Traums" von einem "Verlag der Autoren", der seinen Autoren und Mitarbeitern gehört, arbeitete, von dessen Gründungsgeschichte das letzte Kapitel des Buches erzählt.

216 Seiten. broschiert. 18€
ISBN: 978-3-88661-345-8