Thomas Wiedling


Werke

1D
UA: Schauspiel Leipzig, 18.5.2001. R: Sascha Bunge
1986. Potztausend, die Großmutter lebt. Was hat das Leben gebracht? Den Krieg damals, Paulina, weißt du noch. 1941, es gab zu stricken, und heiraten konnte man, ach hätte man's doch lieber nicht getan, wozu auch, wenn der Kerl sofort darauf im Feld vermisst blieb. Aber die Großmutter lebt. Die alte Lampe ist noch heil. Söhne und Enkel gibt es außerdem, und Schwiegertochter Lidija ist eine ganz Patente. Sie wohnen alle hinten in Murmansk. Paulina, Freundin, Schwägerin, wo bist du? Vor Moskau, beim Teufel, im Krankenhaus? Es ist niemand da zum Reden. Im Krieg geblieben ist der Kerl, was bitte soll das heißen - vermisst?
Der Monolog der namenlosen russischen Frau wird in Sorokins Stück dreimal wiederholt. Vergewisserung des Stattgefundenen als ein Akt von Geschichtsbildung? Oder serielle Vermarktung eines russischen "Bilderbuchschicksals"?
1D
2H (Statisten)
Sylvesternacht des Jahres 1986: Zvetkov hat die Renovierungsarbeiten in seiner Wohnung unterbrochen, sitzt müde vor dem Fernseher und kommentiert die Nachrichtensendung "Vremja". Seine abstrusen, sexuell konnotierten Reaktionen auf die Berichterstattung über die Rückkehr der Einwohner in die Dörfer um Tschernobyl und auf politische Tagesereignisse werden immer wieder von kurzen Telefonaten unterbrochen.
Der polemische MonoDialog mit dem Fernseher bleibt nicht ohne Folgen. Zvetkov sieht sich in seiner Wohnung plötzlich der ausführenden Gewalt eines kranken Staates gegenüber - die Kreissäge heult, das Opfer schreit, und natürlich fließt Blut. In Stücke zersägt, endet Zvetkov in einem Müllsack, die Moderatoren der Nachrichtensendung wünschen: "Gutes Neues Jahr, verehrte blöde Wichser".
Die absurden Verschiebungen der Ebenen verbindet Sorokin mit groteskem Zynismus und perverser Phanatasie, und schockiert mit dem Grauen aus der Geschichte.
2H (Statisten)
Besetzung ad libitum
Was wissen wir von der Perestroika? Dass sie einmal stattgefunden hat. Und was wussten wir damals? In VERTRAUEN, einem frühen Stück Sorokins in fünf Akten, wird der moralische Druck auf Menschen in der Zeit der sich immer deutlicher abzeichnenden gesellschaftlichen Veränderungen in der Sowjetunion behandelt:
Die Leitung eines Industriekombinats ddiskutiert die Abkehr von der bislang praktizierten Bilanzfälschung, doch die ehrliche Bilanz würde die Arbeiter um ihre Prämie bringen. Im Für und Wider wird ein Spektrum von Motiven aufgerissen, individuelle Interessen stoßen auf gemeinschaftliche, Optimismus kämpft gegen Pessimismus, politische Verantwortung gegen Tradition und Gleichgültigkeit.
Mit abstrahierender Sprache skizziert Sorokin den Menschen im Spannungsfeld von Gesellschaft und Geschichte, Religion und Sexualität. Die absurden Bilder verweisen auf die unüberwindbaren Probleme der Existenz des Menschen in der Gesellschaft und geben dem Stück trotz des - mittlerweile historischen - Rahmens eine bestechende Aktualität.
Besetzung ad libitum