© Heike Huslage-Koch (Ausschnitt)

Wilhelm Genazino

geboren 1943 in Mannheim, lebt in Frankfurt am Main. Der mit seinen Romanen und Erzählungen bekannt gewordene frühere Journalist war schon ein Jahr Büchnerpreisträger, als 2005 sein erstes Theaterstück zur Uraufführung kam: LIEBER GOTT, MACH MICH BLIND, eine melancholische Groteske über »Jugendwahn und Körperkult, Angst vor dem Altwerden und Liebesfrust« (FAZ), die ihm den Preis des Heidelberger Stückemarkts eingebrachte. Wilhelm Genazino starb 2018 in Frankfurt.

Auszeichnungen (Auswahl):

2013 Kasseler Literaturpreis für grotesken Humor
2010 Rinke-Sprachpreis der Guntram und Irene Rinke Stiftung
2007 Kleist-Preis
2007 CORINE-Belletristik-Preis des ZEIT-Verlages
2005 Stiftungsgastdozentur Poetik an der Johann Wolfgang Goethe Universität Frankfurt
2004 Autorenpreis der deutschsprachigen Theaterverlage beim Heidelberger Stückemarkt
2004 Georg-Büchner-Preis
2004 Hans-Fallada-Preis
2003 Kunstpreis Berlin
2003 Fontane-Preis der Berliner Akademie der Künste
2001 Kranichsteiner Literaturpreis
1998 Großer Literaturpreis der Bayerischen Akademie der Schönen Künste
1996/97 Stadtschreiber von Bergen
1996 Berliner Literaturpreis
1995 Solothurner Literaturpreis
1995 Preis der LiteraTour Nord
1990 Literaturpreis der Stadt Bremen
1986 Westermanns Literaturpreis


Werke

Besetzung ad libitum
UA: RuhrTriennale, Duisburg, 2.10.2007. R: Stephanie Mohr
Sie ist vermutlich eine der ersten Prostituierten, mit denen sich die Weltliteratur beschäftigt hat. Große Popularität erhielt sie zwar erst im vergangenen Jahrhundert, mitten in einem großen Krieg, doch die Courasche ist nicht erst seit Bertolt Brechts Mutter Courage eine Ikone. Bis heute bewundern wir ihre Bauernschläue, ihren Mut und ihr Draufgängertum. Obwohl sie als Marketenderin während des Dreißigjährigen Krieges fast immer in Lebensgefahr schwebte, gelang ihr doch ein lustbetontes Leben. Als Landstörzerin, Pferdehändlerin und Liebesdienerin machte sie gute Gewinne. Ihre Gerissenheit ließ sie dem Krieg ebenbürtig werden.
Als eine der ersten Frauen erkannte sie den prinzipiellen gesellschaftlichen Unterschied zwischen Mann und Frau überhaupt: Ein Mann darf seinen Vorteil suchen, eine Frau muss auf ihren Vorteil warten. Dass sie immer wieder (mit Erfolg) versucht hat, dieses Prinzip auf den Kopf zu stellen, macht aus ihr bis heute eine moderne Frau. Deswegen sehen wir die Courasche in dem Stück von Wilhelm Genazino auch als Reisende durch die Altersstationen ihres Lebens. Vorlage zu Genazinos Courasche ist die Erzählung "Trutz Simplex Oder ... Lebensbeschreibung der Ertzbetrügerin und Landstörtzerin Courasche von Jakob Christoph von Grimmelshausen" (1670), die auch Bertolt Brecht zur Grundlage seines Dramas machte.
Besetzung ad libitum
4D-2H
UA: Theater an der Ruhr, Mülheim, 13.2.2007. R: Roberto Ciulli
Karl und Sophie haben es sich im Nebeneinander ihrer 20jährigen Ehe häuslich eingerichtet. Eine Veränderung ist nicht in Sicht. Doch dann steht eines Tages Else, die Frau von Karls Bruder, vor der Tür, um den beiden mitzuteilen, dass ihr Mann gestorben sei und noch am selben Nachmittag beerdigt werde. Da Karl eine Begegnung mit seiner Mutter tunlichst vermeiden und Else ihm Gesellschaft leisten will, schicken sie kurzerhand Sophie zur Beerdigung. Für Karl eröffnet sich damit plötzlich die Möglichkeit einer Veränderung in seinem Leben: Er will Sophie gegen Else austauschen. Aber der Traum von der Veränderung währt nur kurz. Kaum ist Sophie von der Beerdigung zurück, verschwinden seine Vorsätze.
Wilhelm Genazino erweist sich auch in seinem zweiten Theaterstück als ein Meister in der Beobachtung menschlicher Verhaltensweisen. Das Drama vollzieht sich nicht in einer großen Handlung, sondern im Gegenteil in der Unfähigkeit der Figuren zu handeln. Dieser Stillstand in den Beziehungen der Figuren zueinander nimmt groteske, bisweilen bissige Formen an. Melancholie und Trauer kippen in Lächerlichkeit um.
4D-2H
3D-2H
UA: Staatstheater Darmstadt, 8.10.2005. R: Henri Hohenemser
Das erste Theaterstück des Büchnerpreisträgers Wilhelm Genazino wurde prompt mit dem Autorenpreis des Heidelberger Stückemarkts 2004 ausgezeichnet. In der Laudatio heißt es:
"Genazinos Stück nimmt sich mit höhnischem Zorn ein Thema vor, das im Theater eher selten verhandelt wird: die Körper- und Jugendfixiertheit unserer Gesellschaft. Die Schärfe, mit der hier Selbstbeobachtung und Beschreibung von körperlichem Verfall betrieben werden, ist literarisch ausgefeilt. Es ist eine Groteske, in der eine Handvoll Menschen, die das Glück haben, alt zu werden, dieses Altern als riesengroßes Unglück schildern."
3D-2H